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«Sina wollte, dass wir weiterleben»

Interview mit Patricia und Benno Schnarwiler 

Interview mit Patricia und Benno Schnarwiler

Benno und Patricia Schnarwiler auf dem Bänkchen unter «Sinas Baum»

Patricia und Benno Schnarwiler verloren 2023 ihre damals 17-jährige Tochter Sina an einer seltenen Form von Knochenkrebs. Im Gespräch erzählen die beiden, wie sie versuchen, mit ihrer Trauer umzugehen, was sie sich wünschen und was anderen Eltern in einer ähnlichen Situation helfen könnte.

Als die Krebsdiagnose fiel, war eure Tochter knapp 15 Jahre alt, also mitten im Teenageralter. Wie würdet Ihr sie beschreiben?

Patricia: Sina war ein sehr liebevoller und positiver Mensch, voller Energie und Lebensfreude. Besonders in den Jahren vor der Diagnose ist sie richtig aufgeblüht und auch die Beziehung zu ihrer Schwester Mona wurde immer enger. Zu sehen, wie sehr die beiden mit der Zeit zusammengewachsen sind, hat mir als Mutter unglaublich gutgetan.

Benno: Sina wollte trotz der Diagnose so normal wie möglich leben und hat nie zugelassen, dass sich alles nur noch um die Krankheit dreht. Sie hat Musik geliebt. Wir haben oft zusammen musiziert, Spiele gespielt und auch in den schwierigen Momenten viel gelacht. Humor war für Sina sehr wichtig. Bis zuletzt hat sie Pläne geschmiedet, sie wollte eine Lehre als Zimmerin machen und mit ihrem Cello in einem Jugendsymphonieorchester spielen. Sina war auch eine gute Zuhörerin und hat oft anderen Mut gemacht, auch wenn es ihr selbst nicht gut ging.

 

Wie habt ihr die letzten Wochen mit Sina erlebt?

Patricia: Wir wussten, dass wir nicht mehr viel Zeit haben würden, aber wir wollten jeden Augenblick, der uns blieb, geniessen. Sina selbst wollte so viel Normalität wie möglich. Es sollte nicht nach Krankheit, sondern nach Leben aussehen. Nachdem wir sie aus dem Spital nach Hause holen konnten, wollte sie die meiste Zeit im Wohnzimmer verbringen. Dort fand der Alltag statt, mit allem, was dazu gehört – auch die Besuche der Grosseltern und Freundinnen. Das war ganz wichtig für sie.

Benno: Sina wollte nicht traurig sein, Trübsal blasen und deprimierte Menschen um sich herumhaben. Wir haben das irgendwann akzeptiert und alles darangesetzt, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Vielleicht weil alles so «normal» schien, haben wir bis zum Schluss die Hoffnung nicht aufgegeben. Der Verstand wusste, dass das nicht möglich war, aber als Eltern hält man bis zum letzten Atemzug an der Hoffnung fest. Das mag irrational klingen, aber mir hat das geholfen.  

 

Sina ist zu Hause gestorben. Wessen Wunsch war das? 

Patricia: Wir wurden eng vom Palliativteam der Klinik, wo Sina behandelt wurde, begleitet. Die Beziehung zu den Ärztinnen und Ärzten dort war sehr persönlich. Wir hätten auch ins Hospiz gehen können, aber Sina hat zu uns gesagt:  «Ich bin lieber daheim, aber wenn ihr euch sicherer fühlt, gehe ich ins Hospiz.» Das Palliativteam hat ihr und uns diesen Wunsch ermöglicht. Es hat alles Notwendige organisiert, uns beim Transport geholfen und war auch jederzeit nachts erreichbar. Dieses Wissen hat uns Sicherheit gegeben.

Benno: Der behandelnde Palliativmediziner hat mit uns auch über den Sterbeprozess gesprochen. Wir wussten ja nicht wirklich, was genau auf Sina und uns zukommen würde. Rückblickend habe ich das Gefühl, dass die Entscheidung, in der Familie und in der vertrauten Umgebung von ihr Abschied zu nehmen – so unendlich traurig das auch war – für uns gestimmt hat. Dieser Arzt hatte uns auch gesagt, dass Menschen, die sterben, bewusst von uns gehen, dass sie den für sie richtigen Zeitpunkt wählen. Das war auch bei Sina der Fall.

 

Was hilft euch, mit der Trauer um Sina zu leben?

Patricia: Für uns sind Rituale und bestimmte Orte sehr wichtig. Unsere Nachbarn haben zum Beispiel einen Baum auf die Wiese vor unser Haus gepflanzt und Benno hat darunter eine Bank aufgestellt. Jetzt laden wir jedes Jahr zum «Bäumlifest» mit Kaffee und Kuchen ein und Benno zündet dort jeden Abend eine Kerze an. Auch eine Feuerstelle im Wald, die wir mit Freunden neugestaltet haben, ist ein Ort, den wir regelmässig besuchen. Auf diese Weise ist Sina immer präsent – für uns und für andere.

Benno: Sina hat Feste geliebt, es wäre ihr nicht recht, wenn wir nur traurig wären. Rituale, wie eine Kerze anzuzünden oder ihr Grab zu besuchen, helfen, weil sie uns – trotz all der Machtlosigkeit – die Möglichkeit geben, ein Zeichen zu setzen, dass wir an sie denken. Gerade in der Anfangszeit haben wir viel Unterstützung von unserer Familie und aus unserem Umfeld erfahren. Freunde kamen vorbei, haben was mitgebracht oder uns zu sich eingeladen. Zu wissen, dass man in dieser schlimmen Situation nicht alleine dasteht, hat uns gutgetan. Oft sind es die kleinen, scheinbar banalen Gesten, die helfen.

 

Wie geht Mona mit der Trauer um ihre Schwester um?

Benno: Ich glaube, sie verdrängt, um sich und uns zu schützen. Ähnlich wie Sina versucht sie, sich auf das Positive zu konzentrieren und die schönen Momente zu geniessen. Sie weiss auch, dass sie jederzeit mit uns reden kann, wenn sie das möchte. Manchmal merken wir, dass es sie mehr berührt, als sie zeigt – dann bricht es plötzlich aus ihr heraus. Aber sie hat glücklicherweise viele Freundinnen und Hobbies. Wir sind froh darüber, dass sie in ein so gutes Umfeld eingebunden ist.  

Patricia: Ich denke, sie will uns auch nicht zur Last fallen, weil sie weiss, wie schwierig die Situation für uns als Eltern ist. Ich glaube nicht, dass sie sich vernachlässig gefühlt hat, weder jetzt noch vorher. Zudem haben wir beide Berufe, die viel zeitliche Flexibilität zulassen, so dass Benno und ich uns während Sinas Krankheit gut abwechseln konnten und Mona nicht allein blieb. Aber auch sie trauert. Nur anders als wir Erwachsene.

 

Der Verlust, insbesondere der eines Kindes, ist nach wie vor ein Tabuthema. Wie hat euer Umfeld auf die Nachricht reagiert?

Benno: Eher mit betretenem Schweigen. Ich habe grosses Verständnis dafür, dass es vielen Menschen schwerfällt, darüber zu sprechen. Trotzdem ist es erstaunlich, wie selten ich auf Sinas Tod angesprochen werde. Auch in meinem beruflichen Umfeld hat man selten gefragt, wie es mir eigentlich geht. Mir wären mehr Offenheit und Interesse lieber. Wenn es mir dann gerade nicht passt, kann ich das jederzeit sagen. Auch wenn es manchmal sehr schmerzhaft ist, tut ein offenes Gespräch schlussendlich meistens sehr gut. Es ist eigentlich bedauerlich, dass der Tod in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema ist, ganz besonders, wenn er ein Kind betrifft.

Patricia: Mir macht Angst, dass Sina vergessen werden könnte, wenn wir nicht mehr über sie sprechen. Deshalb schätze ich es sehr, wenn Freunde und andere Menschen fragen, wie es uns geht und wir von ihr erzählen können. Mit meinen Eltern gelingt das gut: Es freut sie, und es tut ihnen gut, dass wir dabei auch lachen können. So traurig es ist, Sinas Geschichte gehört zu uns, sie ist Teil unseres Lebens. Deshalb will ich von ihr sprechen. Jedes Mal, wenn wir uns an sie erinnern und von ihr erzählen, lebt sie ein Stück weit wieder auf.

 

Was hat euch sonst noch geholfen?

Patricia: Verschiedenes und dazu gehört sicherlich ein gutes Umfeld. Aus meiner Sicht spielt auch die Frage nach der inneren Haltung, der Sicht auf das Leben in den dunklen Momenten, eine grosse Rolle. Ich glaube, man hat immer die Wahl, sich entweder fallenzulassen oder weiterzumachen. Sina wollte, dass wir weiterleben. Sie hat uns gesagt: «Aber gell, ihr seid dann nicht immer traurig.» Sie hat wenig über den Tod gesprochen, aber das war ihr ganz wichtig. Ihre positive Lebenseinstellung trägt uns immer noch.

Benno: Was uns auch guttut, ist der Austausch mit anderen Eltern, die ähnliches erlebt haben. Die Kinderkrebshilfe Zentralschweiz zum Beispiel hat uns während Sinas Krankheit sehr unterstützt und sie organisiert auch Trauergruppen. Diese Treffen geben mir die Möglichkeit, mich bewusst mit meiner Trauer auseinanderzusetzen, ohne mich erklären zu müssen, weil die anderen in einer ähnlichen Situation sind. Das schätze ich sehr. 

Patricia: Mir hat auch die Arbeit geholfen, weil sie mich etwas abgelenkt und meinen Alltag wieder strukturiert hat. Sie hat mir kurze Verschnaufpausen ermöglicht, in denen ich nicht an Sina denken musste. All diese kurzen positiven Momente haben mir wieder etwas Leichtigkeit verschafft und mir die Kraft gegeben, weiterzumachen. Schritt für Schritt.

 

Was würdet ihr anderen trauernden Eltern raten?

Patricia: Manchmal gibt es Tage, an denen du dich zu allem zwingen musst, obwohl du am liebsten liegenbleiben würdest. Doch das hilft niemandem, am wenigsten dir selbst. Trauer ist ein Prozess: Man muss sich den Gefühlen stellen und Schritt für Schritt vorwärtsgehen. Dabei kann man dem Selbstmitleid mehr oder weniger Raum geben. Ohne unsere Trauergruppe hätten wir vielleicht geglaubt, wir seien am Schlimmsten dran. Doch in der Gruppe merkst du, dass du nicht allein bist mit deinem Schmerz. Das nimmt dem Selbstmitleid den Wind aus den Segeln, denn zu viel davon raubt einem die Kraft.

Benno: Ich würde mir bewusst Räume und Orte der Erinnerung schaffen. Das können Rituale sein, etwa das Anzünden einer Kerze, eine Gedenkfeier wie unser «Bäumlifest» oder besondere Tage. Wir zum Beispiel feiern jedes Jahr Sinas Geburtstag und gehen an ihrem Todestag gemeinsam in die Kirche. Diese Momente verbinden uns mit ihr und lassen sie sehr präsent werden. Welche Formen des Gedenkens das sind, ist sehr individuell. Aus meiner Erfahrung weiss ich jedoch, dass Rituale dabei helfen können, etwas so Schmerzhaftes in sein Leben zu integrieren. Die Trauer aber bleibt dein täglicher Begleiter, auch wenn sie sich mit der Zeit verändert.

 

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