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«Eine frühzeitige palliative Begleitung schafft Raum für das Leben»

Interview mit PD Dr. med. Eva Bergsträsser, Leiterin der Pädiatrischen Palliative Care am Universitäts-Kinderspital Zürich

Interview mit PD Dr. med. Eva Bergsträsser

Dr. Eva Bergsträsser, Kinderonkologin und Pionierin auf dem Gebiet der Pädiatrischen Palliative Care, begleitet mit ihrem Team unheilbar kranke Kinder und deren Familien. Im Interview mit Kinderkrebs Schweiz spricht sie über den Wert der Lebensqualität und die Herausforderungen in der Versorgung schwer kranker Kinder.
 

Frau Bergsträsser, viele Kinderkrebsarten sind heute sehr gut heilbar, aber leider gibt es auch Kinder, die sterben. Was kann eine pädiatrische Palliativbetreuung bewirken?

Sobald sich zeigt, dass eine Therapie nicht zum erhofften Erfolg führt, sollten wir vom Palliativ Team in die Betreuung eingebunden werden. So können wir möglichst früh eine Beziehung zur Familie aufbauen und Vertrauen schaffen. In der pädiatrischen Palliativmedizin geht es nicht nur ums Sterben – sondern darum, wie das Kind und die Familie mit der verbleibenden Zeit leben können. Wenn wir frühzeitig einbezogen werden, können wir gemeinsam mit den Eltern und dem Kind herausfinden, was ihnen wichtig ist. Das ermöglicht es, den Fokus nicht allein auf die Krankheit zu legen, sondern schafft Raum für das Leben, in dem individuelle Wünsche, Bedürfnisse und auch das Schöne ihren Platz haben.

 

Was bedeutet Lebensqualität für schwer kranke Kinder?

Bei Kindern beginnen wir mit der Palliativbetreuung häufig früher als bei Erwachsenen und können auf diese Weise den Aspekt der Lebensqualität stärker integrieren. Was dies im Einzelnen bedeutet, ist individuell sehr unterschiedlich. Manche Kinder wollen noch die Einschulung mitmachen, ein Familienfest erleben oder einfach mit den Geschwistern spielen. Palliative Care bedeutet für uns, diese Wünsche ernst zu nehmen und möglich zu machen – sei es durch organisatorische Unterstützung, medizinische Massnahmen oder seelische Begleitung. Oft sind es die scheinbar kleinen Dinge, wie das Nachwachsen der Haare nach der Chemotherapie, die Kindern und Eltern viel bedeuten. Wir versuchen, Normalität zu schaffen in einer Zeit, die alles andere als normal ist. Unser Ziel ist es, die Familien in dieser Extremsituation zu stärken.

 

Wie sieht eine Palliativversorgung bei Ihnen konkret aus?

Wir beginnen meistens mit einem Besuch zu Hause, idealerweise gemeinsam mit der Kinderspitex. Wir lernen die Familie kennen, den Alltag, die Geschwister und das Umfeld. Erst später sprechen wir auch über schwierige Themen wie die medizinische Versorgung in der letzten Lebensphase. Viele Patienten wünschen sich, zu Hause zu sterben, aber das ist nicht für alle das Richtige. Gerade Jugendliche sagen manchmal: «Ich will Mama nicht noch mehr zumuten.» Oder sie fürchten, dass ihr Zuhause später zu stark mit dem Tod verbunden ist. Unsere Aufgabe ist es nicht, einen bestimmten Weg zu empfehlen, sondern gemeinsam mit dem Kind und der Familie den passenden Ort und Weg zu finden – das kann das Spital sein oder die vertraute Umgebung zu Hause. Wichtig ist das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.

 

Sie haben einmal gesagt, «von einer flächendeckenden Versorgung von Kindern und Jugendlichen ist die Schweiz viele Meilen weit entfernt». Gilt das nach wie vor? 

Auch wenn in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht worden sind, hinken wir im internationalen Vergleich immer noch stark hinterher. Anders als in europäischen Ländern, wie Deutschland oder England, ist Palliative Care in der Schweiz nicht gesetzlich verankert. Deshalb gibt es grosse kantonale Unterschiede – mit entsprechenden Konsequenzen für den einzelnen Patienten und die Familien. So hängt auch in der Kinderonkologie vieles vom persönlichen Engagement des medizinischen Personals ab. Nicht nur, weil es vielleicht keine umfassende pädiatrische Palliativversorgung vor Ort gibt, sondern weil viele Leistungen in diesem Bereich aufgrund der aktuellen Tarifstrukturen nicht abgerechnet werden können.

 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft hinsichtlich der palliativen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz?

Den Ausbau eines flächendeckenden und einheitlich geregelten Angebots. Dessen Finanzierung sollte nicht alleinige Aufgabe der Spitäler sein, sondern eine Zusatzleistung der Kantone und des Bundes. Wir brauchen grundsätzlich mehr Offenheit, mehr Verständnis und mehr Sichtbarkeit für die Realität schwerkranker Kinder in unserer Gesellschaft. Deren Bedürfnisse wurden in der «Nationalen Strategie Palliative Care», einer Initiative von Bund und Kantonen, zu wenig berücksichtigt, ebenso wenig bei der Finanzierungsfrage. Kindermedizin ist ja auch nicht gleich wie Erwachsenenmedizin. Palliativmedizin wird zumeist mit alten Menschen in Verbindung gebracht. Aber auch Kinder sind unheilbar krank und sterben – nicht nur an Unfällen, sondern an schweren Krankheiten. Und sie tun das manchmal unter sehr belastenden Umständen. Wir müssen aufhören, ihre Bedürfnisse denjenigen von Erwachsenen unterzuordnen. Es geht bei der Palliative Care nicht nur ums Sterben, sondern auch ums Leben – gerade bei Kindern.

 

Sie haben viele Kinder und Familien auf ihrem letzten Weg begleitet. Wie gehen Sie mit dieser emotionalen Herausforderung um? 

Es gibt schwierige Momente, ja. Aber ich mache diese Arbeit sehr gerne, weil ich ihren Sinn sehe. Ich sorge gut für mich, bewege mich viel in der Natur und bin gerne mit mir nahen Menschen zusammen. Und was mir Kraft gibt: Wenn eine Familie ein Jahr nach dem Verlust sagen kann: «Wir trauern, aber wir leben weiter.» Dann weiss ich, dass unsere Begleitung geholfen hat.

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