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«Unser Ziel muss sein, allen krebskranken Kindern den Zugang zu den bestmöglichen Therapien zu ermöglichen»

Dr. med. Nicolas Waespe

Jeder Patient und jeder Tumor ist einzigartig. Aufgrund rasanter Fortschritte in der Molekularbiologie ist es heutzutage möglich, den Tumor eines einzelnen Menschen detailliert zu charakterisieren. Neben den klassischen Behandlungsmethoden wie Operation, Strahlen - und Chemotherapie kommen zunehmend gezielt auf den Patienten zugeschnittene Therapien zum Einsatz. Interview mit Dr. med. Nicolas Waespe, Oberarzt am Inselspital Bern und spezialisiert auf die Behandlung krebskranker Kinder und Jugendlicher. 

 

Kinderonkologen und Eltern von krebskranken Kindern setzen viel Hoffnung in neuartige Therapieansätze, wie die sogenannten gezielten Therapien. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von individueller, personalisierter oder massgeschneiderter Medizin. Was genau versteckt sich hinter diesen Begriffen?

Die gezielten Therapien, die aktuell die Medizin revolutionieren, versuchen jeweils einen bestimmten Mechanismus anzugreifen, der nur oder vorwiegend im Krebs aktiv ist. Dadurch können Krebszellen präzise am Wachstum gehindert werden und sterben ab. Hierbei kann es sich zum Beispiel um Stoffwechselwege handeln, die in den Krebszellen aktiv sind, oder spezielle Oberflächenproteine, die vorwiegend vom Krebs gebildet sind. Das ermöglicht es, den Krebs viel genauer anzugreifen als bei einer herkömmlichen Chemotherapie oder Bestrahlung. Zu diesen neuartigen Therapieansätzen zählt die CAR-T Zelltherapie. Bei diesem Verfahren werden körpereigene Abwehrzellen entnommen und im Labor so verändert, dass sie gezielt Krebszellen angreifen. Diese gentechnisch veränderten Zellen werden dann wieder den Patienten verabreicht und entfalten so ihre Wirkung. Der Vorteil dieser gezielten Therapien ist, dass sich der Krebs effizienter bekämpfen und die Nebenwirkungen teilweise reduzieren lassen, während bei einer klassischen Chemotherapie auch die gesunden Zellen häufig geschädigt werden. Das führt gerade bei Kindern, die sich mitten im Wachstum befinden, zu akuten und langfristigen Nebenwirkungen, die ihre Lebensqualität auf Dauer massiv einschränken können. Das wollen wir verhindern. 

 

Bei erwachsenen Krebspatienten kommen diese neuen Behandlungsstrategien mit zielgerichteten Medikamenten bei bestimmten Krebsarten bereits erfolgreich zum Einsatz. Wie sieht es damit in der Kinderonkologie aus?

Gezielte Therapien kommen bei Kindern mit bestimmten Krebserkrankungen schon zum Einsatz. Dies geschieht im Rahmen von klinischen Studien oder häufig auch ohne spezielle Zulassung auf ärztliche Verschreibung. Ein Beispiel sind Antikörpertherapien bei Leukämien oder Lymphomen. Dort werden sie oft in Kombination mit konventionellen Chemotherapien angewendet und können so bei gewissen Krebserkrankungen auch die konventionellen Chemotherapien ganz ersetzen. Auch wenn wir noch sehr wenig über die Langzeitwirkungen dieser Therapien bei Kindern wissen, sind die Behandlungserfolge teilweise sehr beeindruckend. Gerade bei Patienten, die nicht auf Standardtherapien ansprechen oder die einen Rückfall erleiden. Um jedoch gesicherte Aussagen treffen zu können, die uns dabei helfen, diese innovativen Therapien für Kinder und Jugendliche optimal weiterzuentwickeln und sie möglichst früh in die Therapiepläne einzubauen, sind unbedingt grössere klinischen Studien notwendig. Die kosten aber sehr viel Geld, weshalb deren Finanzierung eine enorme Herausforderung für uns darstellt.

 

Die Pharmaindustrie forscht seit Jahren intensiv und sehr erfolgreich an gezielten Krebstherapien für Erwachsene. Warum gehen ausgerechnet junge und besonders schutzbedürftige Patienten nach wie vor «vergessen»?

Es ist für die Pharmaindustrie sehr viel weniger lohnend, Medikamente für kindliche Tumoren zu entwickeln, weil Krebs bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen so selten ist. So erkranken circa 350 Kinder und Jugendliche pro Jahr an Krebs in der Schweiz, während mehr als 40'000 Erwachsene von Krebs betroffen sind. Da sieht man schnell, warum sich nur wenig Geld mit der Kinderkrebsmedizin machen lässt. Die Kinderonkologie bleibt somit häufig auf Fortschritte in der Behandlung erwachsener Krebspatienten angewiesen, bevor diese dann den jungen Patienten zugutekommen. Aber da Kinder nicht einfach kleine Erwachsenen sind, lassen sich diese für Erwachsene entwickelten Behandlungsmethoden häufig nicht direkt auf kindliche Erkrankungen übertragen. Hier müssten unbedingt verstärkt Anreize für die Pharmaindustrie geschaffen werden, damit sie Medikamente entwickelt, die für die Behandlung kindlicher Tumoren geeignet und getestet sind.

 

Was ist aus Ihrer Sicht konkret notwendig, damit die Kinderkrebsforschung weiter vorangetrieben werden kann?

Zunächst gilt festzuhalten, dass die Behandlung von Kinderkrebs dank der Zusammenarbeit von Forschenden sowie Kinderonkologinnen und - onkologen weltweit eine ausserordentliche Erfolgsgeschichte ist. Während vor 50 Jahren weniger als die Hälfte aller Kinder mit einer akuten lymphatischen Leukämie überlebt hat, sind es jetzt über 90 Prozent. Trotzdem gibt es weiterhin Krebsarten, die sehr schwierig zu behandeln sind, wie z.B. gewisse Hirntumoren oder auch Weichteil- und Knochentumoren. Damit noch mehr Kinder geheilt werden und unter weniger Spätfolgen leiden, muss weiterhin intensiv geforscht werden. Fortschritte in der Kinderkrebsmedizin sind jedoch aufgrund der geringen Patientenzahlen nur im internationalen Verbund und mit Unterstützung von Geldgebern möglich, da die staatlichen Mittel bei weitem nicht ausreichen. Auch wenn gezielte Therapien Heilung bringen können, wo herkömmliche Methoden versagen, kann Kinderkrebs häufig nur durch das Zusammenspiel der verschiedenen Therapien geheilt werden. Es braucht also weiterhin alle zur Verfügung stehenden Behandlungen, die dann an die Erkrankung und das betroffene Kind angepasst werden müssen.

 

Die personalisierte Medizin ist teuer. Es kommen somit beträchtliche Kosten auf das Schweizer Gesundheitssystem zu. Wer entscheidet dann, welchen Kindern diese neuen Medikamente verabreicht werden und welchen nicht? 

Die Kosten mögen für ein einzelnes Kind gross erscheinen, aber dadurch kann auch Grosses erreicht werden. Ein geheiltes Kind, das schonend behandelt wurde, wächst zu einem wichtigen Mitglied unserer Gesellschaft heran und kann sein ganzes weiteres Leben lang einen produktiven Beitrag an die Gemeinschaft zurückgeben. Aus meiner Sicht dürfen wir deshalb auf keinen Fall die medizinische Behandlung von Kindern aus Kostengründen rationieren. Im Gegenteil, unser Ziel muss sein, allen krebskranken Kindern den Zugang zur bestmöglichen Therapie zu ermöglichen. Laut dem Nationalen Gesundheitsbericht entfielen 2020 lediglich rund 12 Prozent der Gesundheitskosten in der Schweiz auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 0 bis 25 Jahren. Die monatlichen Pro-Kopf-Kosten in dieser Altersgruppe betrugen weniger als die Hälfte der durchschnittlichen Pro-Kopf-Kosten der Gesamtbevölkerung. Hinzu kommt, dass nur wenige Kinder pro Jahr von Krebs betroffen sind. Wir sprechen also von ganz anderen Fallzahlen als bei Erwachsenen. Indem wir sicherstellen, dass krebskranke Kinder und Jugendliche optimal versorgt werden, investieren wir in die Zukunft unserer Gesellschaft.

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